Mit anpackender Zuversicht gegen Zukunftsängste
Die aktuellen Krisen legen noch deutlicher offen, wo Deutschlands Standortschwächen liegen: überbordende Bürokratie, geringes Digitalisierungsniveau, marode Infrastruktur, zählt ZDH-Präsident Jörg Dittrich gegenüber Annette Hörnig von der „SuperIllu“ auf.
Herr Dittrich, zu Jahresbeginn waren viele Wirtschafts-Experten noch zuversichtlich. Jetzt stürzt der Ifo-Index ab. Wie sehen Sie die Situation?
Verunsicherung und Zukunftsängste sind in vielen Bereichen sichtbar, auch bei einer Reihe von Handwerksbetrieben. Kein Wunder, denn es gibt einen Krieg auf dem europäischen Kontinent, eine Energiekrise, eine hohe Inflation, Steuern und Sozialabgaben auf Rekordhoch.
Die Krisen legen noch deutlicher offen, wo Deutschlands Schwächen liegen – Bürokratie, Digitalisierung, marode Infrastruktur. Da muss endlich etwas passieren, brauchen die Betriebe Verbesserungen. Jammern hilft nicht, sondern wir sollten dem mit anpackender Zuversicht begegnen.
Denn ich bin überzeugt: Aus der Verunsicherung und dem Frust kann man auch viel Energie mobilisieren, etwas ändern zu müssen und auch zu wollen. Wir sollten die Unzufriedenheit als Triebfeder nutzen, positive Veränderungen herbeizuführen. Untergangsszenarien bringen uns nicht voran, wir brauchen eine Aufbruchstimmung.
Schlechte Stimmung hat vielerorts das Gebäude-Energie-Gesetz, kurz GEG, erzeugt. Mit ihm will die Bundesregierung die Wärmewende einleiten, Gebäude künftig zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien beheizen. Das Handwerk muss das Gesetz umsetzen. Wird das klappen?
Das Handwerk steht bereit, seinen Beitrag zu leisten. Um bis 2045 klimaneutral zu werden, müssen wir ohne Frage zu einem weitgehend CO2-freien Heizen kommen. Aber das mit der Brechstange machen zu wollen nach dem Motto „Koste es, was es wolle“, ohne zu schauen, was ökologisch und ökonomisch überhaupt sinnvoll und vor Ort machbar ist, das hat viele Betriebe und Menschen verärgert – das waren also weniger die GEG-Ziele, als vielmehr das Zustandekommen des Gesetzes.
Ehrgeizige Ziele allein machen noch keine Transformation, dafür braucht es einen machbaren Plan. In einer Demokratie muss man ruhig auch streiten über einen solchen Plan und darüber, wie man Ziele erreicht. Aber man sollte diejenigen einbinden, die das umsetzen und die betroffen sind.
Das war beim GEG anfangs nicht der Fall, da ging es nur um das Zählen von Wärmepumpen. Kommunale Wärmeplanung und Technologieoffenheit spielten im Gesetzentwurf zunächst fast keine Rolle. Das hat sich ja inzwischen geändert. Aber viele Menschen sind weiter verunsichert, welche Art von Heizung sie denn nun einbauen sollen, und welche Förderungen es dafür geben wird.
Sie haben den anfänglichen Gesetzentwurf sogar als „5-Jahres-Plan“ á la DDR kritisiert…
Diese Erinnerung hat sich mir aufgedrängt. Aber klar ist natürlich, dass das nicht dasselbe ist: Die DDR war eine Diktatur. Wir leben heute in einer Demokratie und in Freiheit. Wenn wir aber beginnen, Dinge überzuregulieren, mit Verboten zu versehen und nur Einzelaspekte und nicht das Ganze zu betrachten, dann erinnert das an Pläne, die von Beginn an illusorisch sind und sich in der Praxis nicht umsetzen lassen.
Auch jetzt bleiben weiter Fragen: Haben wir eigentlich ausreichend Stromnetze und Strom? Die ganz überwiegende Mehrheit der Wärmepumpen enthält als Kältemittel klimaschädliche F-Gase. Die EU diskutiert gerade über ein mögliches Verbot dieser Gase ab 2030. Welche Ersatz-Kältemittel gibt es denn? Das ist ebenso wenig geklärt wie die Frage, wie lange Wärmepumpen dann repariert werden dürfen.
Wirtschaftsverbände und Gebäudebesitzer beklagen, dass die Regierung zu wenig mit ihnen kommuniziere und sie nicht einbinden…
Politik ist immer gut beraten, die Menschen vor Ort und die „Macher“ aus dem Handwerk anzuhören und ihre Argumente zu kennen, um so gemeinsam ein Maßnahmenpaket zu schnüren, das dann auch realisierbar ist. Von unserer Seite aus war die Hand immer ausgestreckt, es gab auch zahlreiche Gesprächsrunden, aber es war zäh.
Unsere Bedenken zur Praktikabilität wurden zunächst nicht aufgenommen. Erst nach dem Sturm der Kritik sind sie in die Änderungen am Gesetz eingeflossen. Ich verstehe den Handlungsdruck der Politik, aber eine solche Umgangsweise ist nicht gut und entspricht auch nicht bewährten Gepflogenheiten. Damit ist leider viel Vertrauen verspielt worden.
Auch die Bauwirtschaft ist im Krisenmodus, es wird kaum gebaut.
Ja, der Hochbau steuert in eine Krise, im Baugenehmigungsbereich gibt es einen dramatischen Rückgang. Vermutlich hätte es bei einer vergleichbaren Zuspitzung der Lage im Industrie- und Bankensektor, wie wir sie gerade im Baubereich sehen, schon die dritte Krisenrunde im Bundeskanzleramt gegeben. Wenn Politik nicht handelt, sehe ich durchaus die Gefahr, dass die Beschäftigten am Bau in andere Bereiche wechseln. Dann hätten wir in den kommenden Jahren nicht genügend von ihnen für die energetische Gebäudesanierung und den Wohnungsbau.
Hier ist Politik gefragt, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, für eine verlässliche Förderkulisse sowie insgesamt bessere Rahmenbedingungen bei Steuern, Sozialabgaben und Bürokratie zu sorgen. Denn neben höheren Preisen und Lohnsteigerungen sind es eben vor allem auch höhere Sozialversicherungskosten und bürokratische Vorschriften, die Handwerksbetriebe belasten, auf die sie selbst aber keinen Einfluss haben. Zu all dem kommt derzeit noch ein historisch schneller Zinsanstieg.
Diese Mischung lässt die Baupreise stark steigen und macht das Bauen für immer mehr Menschen unbezahlbar. Das birgt aus meiner Sicht gesellschaftlichen Sprengstoff, wenn junge Menschen nicht mehr die Aussicht haben, Eigentumsbildung betreiben zu können.
Es fehlt die Zukunftsperspektive, dass man sich etwas aufbauen kann, ein eigenes Haus zu besitzen…
Es ist das eine, zu sagen, wir wollen 2045 CO2-neutral sein. Aber es ist das andere, die Menschen zu motivieren, die dafür notwendigen Veränderungen mitzugehen. Was ist das positive Narrativ? Wir müssen die positiven Aspekte von Nachhaltigkeit aufzeigen: Über eine Dachbegrünung etwa kann man das Argument der Flächenversiegelung entkräften.
Die Nachhaltigkeit eines Hauses bemisst sich an seiner Umweltfreundlichkeit, die nicht zuletzt durch den klugen Einsatz von neuen Technologien erreicht werden kann. Aber auch das muss sich rechnen, muss also auch ökonomisch nachhaltig sein.
Stichwort Fachkräftemangel. Wie viele fehlen im Handwerk?
Im Handwerk fehlen geschätzt momentan mindestens 250.000 Fachkräfte. Das wird sich verstärken, denn die geburtenstarken Jahrgänge gehen bald in Rente und durch die vielen Tätigkeitsfelder beim Klimaschutz, der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende kommen viele zusätzliche Aufgaben hinzu, für die handwerkliche Fachkräfte unverzichtbar sind. In der Bildungspolitik hat man sich in den vergangenen Jahren zu sehr darauf konzentriert, dass immer mehr junge Menschen Abitur machen und dann studieren.
Von dieser Fokussierung auf den akademischen Bereich müssen wir wegkommen, vor allem aber vom jahrzehntelang gültigen Glaubenssatz, nur mit Abi und Studium die eigene berufliche Zukunft positiv gestalten zu können. Diese Botschaft sitzt aber immer noch in den Köpfen. Sie hat dazu geführt, dass mittlerweile über die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium beginnt. Diese jungen Leute fehlen uns in der beruflichen Bildung. Viele Schülerinnen und Schüler erfahren während ihrer gesamten Schullaufbahn kaum etwas über die Berufe und die Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im Handwerk.
Meisterqualifikation, duale Ausbildungen, Auslandsaufenthalte: Da tuen sich positive Welten auf. Aber wie sollen junge Leute diese Welten entdecken, wenn sie etwa in der Berufsorientierung – vor allem an Gymnasien – gar keine Informationen zur beruflichen Bildung erhalten. Das muss dringend anders werden.
Was ist noch notwendig, um den großen Fachkräftebedarf zu decken?
Die Politik ist gefordert, alle inländischen Potenziale zu erschließen, um diese Fachkräftelücke zu schließen: gering Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Frauen. Dazu zählt auch, diejenigen Schulabgängerinnen und Schulabgänger zu erfassen, die keinen Abschluss haben oder die nicht unmittelbar im Anschluss an ihren Schulabschluss eine Ausbildung oder eine Beschäftigung aufnehmen. Bei den 18 – 24-Jährigen sind das momentan fast 600.000, die nach dem Schulabschluss weder in einer Ausbildung noch in einer Beschäftigung ankommen.
Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Damit noch mehr Frauen Vollzeit arbeiten können, müssen Betreuungsangebote ausgebaut werden. Davon gibt es nach wie vor zu wenig, um Beruf und Familie gut zu vereinbaren. Und zur Fachkräftesicherung gehört, die Digitalisierung und technologische Innovationen als Chancen fürs Handwerk zu begreifen.
Wir sollten in Robotern, die Wände anstreichen, Gerüste aufbauen und Stahl verschweißen, keine Konkurrenten sehen, sondern sie als einen Teil der Lösung verstehen. Durch technische Innovationen und effizienter gestaltete Arbeitsprozesse werden Kapazitäten frei. Darüber hinaus werden wir Zuwanderung in Ausbildung und in Arbeit brauchen. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist hier ein richtiger Schritt.
Ist Deutschland mit seiner hohen Abgabenlast denn attraktiv für Fachkräfte?
Zielland Nr. 1 für Zuwanderung sind wir nicht. Das hängt nach Befragungen vor allem an zwei Punkten: Zum einen an der Sprache, denn Deutsch ist keine Weltsprache und zudem schwierig zu erlernen; zum anderen an der hohen Steuer- und Abgabenlast in Deutschland.
In fast keinem anderen OECD-Land belasten Steuern und Abgaben die Einkommen so stark wie in Deutschland. Das trifft auch die Deutschen selbst. Lohnintensive Arbeit wird immer teurer – nicht zuletzt wegen der immer weiter steigenden Sozialabgaben. Die sind aktuell vor allem an den Faktor Lohn und Arbeit gekoppelt.
Der Faktor Arbeit muss entlastet und die Sozialversicherungssysteme so finanziert werden, dass das lohnintensive Handwerk im Vergleich zu anderen weniger lohnintensiven Wirtschaftsbereichen wettbewerbsfähig bleibt.
Welche Schritte ergreift das Handwerk, um attraktiver zu werden?
Wir sind dazu schon seit Jahren selbst aktiv, werben mit Projekten schon in Kitas und Schulen für das Handwerk, haben neue Bildungswege und Berufsabschlussbezeichnungen auf den Weg gebracht, rühren immer stärker auch über Social Media für Handwerksberufe die Werbetrommel. Und wir haben seit mehr als zehn Jahren unsere Imagekampagne, auf die es viele positive Rückmeldungen gibt. Alte Stereotype vom Handwerk, wonach es schmutzig, körperlich anstrengend, wenig modern und uncool ist, die treffen längst nicht mehr zu.
Digitalisierung, Diversität, Humanität gehören heute genauso zum Handwerk wie Tradition, Werkbank und Blaumann. Handwerk ist modern und innovativ, es interpretiert tradierte Werte neu. Tatsächlich eröffnet die berufliche Bildung heute Perspektiven, die mancher akademische Weg nicht mehr bieten kann, etwa wenn es um die Arbeitsplatzsicherheit oder Möglichkeiten zur Selbstständigkeit geht. Wenn Sie Meisterin sind, kann sich ihr Verdienst locker mit dem von Bachelor-Absolventen messen, und da spreche ich noch nicht davon, was möglich ist, wenn sie sich selbstständig machen.
Wir müssen eine „Bildungswende“ vollziehen hin zu einer ideellen und finanziellen Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Das muss auch gesetzlich verankert werden. Und beide Bildungswege müssen gleichwertig finanziert werden. Universitäten bekommen Milliarden, um Gebäude und Ausstattung auf dem neuesten Stand zu halten.
Doch für die rund 600 handwerklichen Bildungsstätten müssen wir jedes Jahr aufs Neue um die Mittel kämpfen – und da rede ich gerade einmal um Millionenbeträge. Auch viele Berufsschulen sind in teils schlechtem Zustand. Wenn berufliche Bildung für junge Menschen attraktiv sein soll, dann muss sie auch gleichwertig finanziell gefördert werden.
Immer weniger Menschen wollen sich selbstständig machen. Was macht es so unattraktiv?
Bürokratie verhindert Selbstständigkeit. Immer mehr junge Meisterinnen und Meister scheuen die Gründung oder Übernahme eines Handwerksbetriebs allein aus Sorge vor dem wachsenden Bürokratiewust. Mehr als jeder Dritte der Meisterabsolventinnen und Meisterabsolventen gab jüngst in einer Umfrage an, aus „Angst vor Formularen“ den Schritt in die Selbstständigkeit nicht gehen zu wollen: Das muss ein Alarmzeichen für die Politik sein. Betriebe müssen sich ständig rechtfertigen, und sie müssen beweisen, keine Fehler gemacht zu haben.
Es geht nicht mehr darum, für gemachte Fehler einzustehen. Das darin zum Ausdruck kommende Misstrauen gegenüber Unternehmerinnen und Unternehmern ist fatal, weil es immer weniger Lust auf Selbstständigkeit macht. Dabei lebt gerade das Handwerk von der Leidenschaft und Innovationskraft seiner Inhaberinnen und Inhaber. Ich persönlich würde aufgrund meiner Erfahrungen aber immer dazu raten, sich selbstständig zu machen, weil man seine eigenen Entscheidungen treffen, Ideen entwickeln, etwas auf die Beine stellen und schaffen kann.
Sie sind in 4. Generation Chef eines 118-jährigen Familienbetriebs. Wie hat Sie das geprägt?
Wer wie meine Familie und ich Anfeindungen für selbstständiges Unternehmertum durchlebt hat, wer den Mut und die Entschlossenheit meines Vaters gegen immer wiederkehrende Enteignungsversuche unseres Familienbetriebes durch die SED-Führung zu DDR-Zeiten erlebt hat, für den steht fest: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat sind nicht verhandelbar.
Wir sollten diese Werte mehr wertschätzen. Manche Menschen glauben offenbar, mit einer starken Hand vorbei an einer Mehrheitsfindung wäre es einfacher. Bisher ist das in der Geschichte immer schief gegangen. Demokratie lebt davon, dass sich möglichst viele einbringen und mitwirken, gemeinsam einen Kompromiss und eine Lösung zu finden. Komplexe Fragen kennen keine einfachen Antworten. Wir werden uns wahrscheinlich darauf einrichten müssen, dass die Diskussionen auch bei uns härter werden.
Ich würde mir allerdings wünschen, dass politische Entscheidungen mehr auf die Mitte der Gesellschaft ausgerichtet würden und nicht vor allem auf die Ränder. Arbeit und Leistung müssen sich lohnen. Ein Unternehmer kann nur in dem Maße erfolgreich sein Geschäft führen, Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen und erhalten, wie man ihm die Freiräume dafür lässt und ihn nicht mit überbordenden Vorgaben und Regelungen gängelt oder durch hohe Steuer- und Sozialabgabenlasten an den Rand seiner Leistungsfähigkeit bringt.
Sie sind der erste und einzige ostdeutsche Präsident eines deutschen Spitzenverbands. Sind Sie da ein bisschen stolz?
Ich bin Präsident für das gesamte deutsche Handwerk. Und ich bin herzlich in Ost wie West aufgenommen worden.
Verraten Sie uns noch, was Sie persönlich an Ihrem Dachdeckerhandwerk und am Handwerk generell fasziniert?
Auf dem Dach bin ich heute nur noch zur Kontrolle. Ich fand es schon als Junge einfach schöner, auf dem Dach zu stehen, bei jedem Wetter, jeder Jahreszeit, als im beengenden Klassenraum. Und was gibt es Schöneres, als am Ende eines Tages oder auch noch nach Jahren anzuschauen, was man gemacht, was man geschaffen hat. Das macht zufrieden. Ich bin mit meiner Berufswahl sehr glücklich.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. (ZDH)
Bild: ZDH – Sascha Schneider