Das Handwerk ist kreativ bei der Fachkräftesuche
Von Recruitern, Social Media bis zu Ausbildungsinitiativen: Um den hohen Fachkräftebedarf zu decken, geht das Handwerk unterschiedliche Wege, so ZDH-Präsident Jörg Dittrich zu Helena Ott von „Die Zeit“.
DIE ZEIT-Frage: In München gibt es Bäckereien, die einzelne Filialen schließen mussten, weil sie nicht genug Bäckereifachverkäuferinnen hatten. Ist das die Ausnahme in Handwerksbetrieben oder gibt es mehr Betriebe, die nicht alle Aufträge annehmen können, wegen fehlendem Personal?
Dittrich: Die Fachkräftesicherung ist zweifelsohne eines der Mega-Themen im Handwerk. Wir gehen von rund 250.000 offenen Stellen im Handwerk aus, die sich natürlich auch im Betriebsalltag und -ablauf bemerkbar machen, etwa durch längere Wartezeiten für Kundinnen und Kunden.
Da derzeit allerdings viele unterschiedliche Krisenfaktoren auf die Betriebe einwirken, lassen sich lange Wartezeiten, Auftragsstaus oder gar Betriebsschließungen nur schwer auf einen einzigen Faktor zurückführen.
Messbar ist allerdings das Ausbildungsengagement der Betriebe: 27 % aller Betriebe bilden aus, mehr als in anderen Wirtschaftsbereichen. Da aber oft Bewerberinnen und Bewerber fehlen, können nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzt werden.
Hier droht der Bewerbermangel tatsächlich, das Ausbildungsengagement langfristig zu unterlaufen, weshalb vor allem hier angesetzt werden muss. Da das Handwerk seinen Fachkräftebedarf maßgeblich über die duale Ausbildung gewinnt, liegt hier die zentrale Stellschraube für die Fachkräftesicherung im Handwerk.
Um zu verhindern, dass die Fachkräftelücke auf Dauer zu einem Bremsklotz für die Entwicklung im Handwerk wird, braucht es eine Bildungswende, die mit dem Bildungsmantra der vergangenen Jahrzehnte aufräumt, nur Abi und daran anschließend ein Studium führen zu Aufstieg und beruflichem Erfolg. Junge Menschen müssen informiert werden, dass der akademische wie auch der berufliche Bildungsweg ihnen gleichwertige Chancen bieten.
DIE ZEIT-Frage: Wie ist sonst die wirtschaftliche Lage im Handwerk? Ist da auch etwas von der Stagnation/Rezession zu merken?
Dittrich: Die aktuelle konjunkturelle Lage ist noch robust, aber sehr unsicher: Standortschwächen wie die hohen Energiekosten, die Inflation oder die massive Bürokratiebelastung verunsichern viele Betriebe, wie unsere aktuelle Sonderumfrage zeigt. Besonders spürbar ist das derzeit im Baubereich: Hier weisen alle vorlaufenden Indikatoren darauf, dass im kommenden Jahr ein massiver Zusammenbruch droht, wenn nicht jetzt gegengesteuert wird.
Ein solcher Crash wäre mit einem unumkehrbaren Personal- und Kapazitätsabbau verbunden, der uns dann in den kommenden Jahren schmerzhaft auf die Füße fallen würde: Wenn der Bau in die Krise schlittert, dann stehen zentrale Zukunftsprojekte der Bundesregierung auf der Kippe.
Deswegen müssen nicht nur vereinzelte Maßnahmen diskutiert werden, sondern es stellt sich ganz generell die Frage: „Wie lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit von Handwerk und Mittelstand stärken?“, damit die Betriebe erfolgreich ihr Geschäft betreiben und Arbeits- und Ausbildungsplätze sichern können.
DIE ZEIT-Frage: Wie ist es möglich, als Arbeitgeber im Handwerk herauszustechen, sodass Arbeitnehmer auf einen aufmerksam werden?
Dittrich: Eine positive Arbeitgebermarke zu entwickeln und nach außen zu kommunizieren, ist auch für Handwerksbetriebe wichtig. Ein unschätzbarer Vorteil des Handwerks liegt in der Betriebsgröße: Im Schnitt hat ein Handwerksbetrieb fünf bis sieben Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter.
Was klein klingt, hat große Wirkung für die Beschäftigten: So sind in Familienbetrieben des Handwerks deutlich individuellere Vereinbarungen über Benefits, Arbeitsteilung oder zur Weiterbildung möglich, als das in vielen großen Unternehmen der Fall ist.
DIE ZEIT-Frage: Wenn sich die Handwerksbetriebe einander jetzt das Personal abwerben, ist für die gesamte Volkswirtschaft auch nichts gewonnen, oder?
Dittrich: Für Handwerksbetriebe stellt weniger das Abwerben von Fachkräften durch andere Handwerksbetriebe eine große Herausforderung dar, sondern eher durch andere Branchen und Sektoren wie Industrie, Bundeswehr, Öffentlichen Dienst. Grundsätzlich braucht das Handwerk den Wettbewerb um die besten Fachkräfte nicht zu scheuen, allerdings müssen auch insgesamt faire Wettbewerbsbedingungen etwa bei der Entlohnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen.
Was ist damit gemeint? Derzeit sind lohnintensive Leistungen, wie sie im Handwerk erbracht werden, vor allem bei Sozialabgaben benachteiligt, weil die Finanzierung der Sozialsysteme vorrangig an den Faktor Arbeit gekoppelt ist. Jede Erhöhung der Sozialabgaben erhöht die Kosten für die Handwerksbetriebe und kann zu einer Verteuerung der Leistungen führen.
Doch Handwerksleistungen müssen bezahlbar bleiben. Insgesamt liegt es im allgemeinen Interesse, dass die offenen Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Handwerk besetzt werden: Denn für unsere Volkswirtschaft, für die Transformation und den Standort sind handwerkliche Fachkräfte unverzichtbar, wenn es darum geht, die politisch gewollten Zukunftsprojekte in der Praxis umzusetzen.
DIE ZEIT-Frage: Bis zum Jahr 2030 sollen bereits fünf Millionen Arbeitskräfte am deutschen Arbeitsmarkt fehlen – woher kann die Arbeitskraft am ehesten kommen? Zuwanderung, mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen, Künstliche Intelligenz, Automatisierung, Qualifizierung?
Dittrich: Neben bildungspolitischen Stellschrauben spielen Zuwanderung und mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen auch im Handwerk eine zentrale Rolle. Insbesondere bei der Zuwanderung gilt: Damit mehr Fachkräfte für das Handwerk gewonnen werden können, müssen die Verfahren deutlich vereinfacht und entbürokratisiert werden.
Ein auf dem Papier noch so gutes Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat wenig Wirkung, wenn die Umsetzung schließlich wegen überlasteter Behörden stockt. Dabei denke ich beispielsweise an seit Jahren festzustellende Staus bei der Visavergabe.
Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz spielen im Handwerk auch eine Rolle, vor allem wenn es darum geht, körperlich besonders schwere oder aber monotone Arbeitsschritte zu übernehmen. Für die Fachkräftesicherung sind sie allerdings deutlich weniger zentral als dies für andere Wirtschaftsbereiche der Fall sein mag, denn weder die Kopf- noch die Handarbeit von Handwerkerinnen und Handwerkern lässt sich vollständig automatisieren.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH)
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